Ausgabe zur GMTN 2019

10 UNTERNEHMEN UND STARTUPS TEXT & BILD: MESSE DÜSSELDORF GMBH MESSEPLATZ, STOCKUMER KIRCHSTRASSE 61 D-40474 DÜSSELDORF GERMANY D as größte Potential der digitalen Transformation steckt in den etablier- ten Unternehmen. Doch zu einseitig richten traditionelle Industriebetriebe ihre Digitalisie- rungsstrategie auf die Prozessop- timierung des bestehenden Ge- schäfts aus. Experten beobachten, dass die Etablierten noch zu selten neues Wachstum durch neue Dienstleistun- gen im Fokus haben. Dabei können gerade hier Traditionsunternehmen und Startups erfolgreich vonein- ander lernen, wie Beispiele aus der Metallbranche deutlich machen. Auf der Metallurgiefachmesse METEC im Rahmen der „Bright World of Metals“ vom 25. bis 29. Juni 2019 wird unter anderem der Branchenverband VDMA Metallurgy Beispiele erfolgreicher di- gitaler Transformation vorstellen. Im Zeitalter der digitalen Trans- formation rücken neue Ansätze aus der Startup-Welt in den Fokus auch der etablierten Unternehmen. Aktu- ell das als Inbegriff der Kreativität geltende Design Thinking – zum Bei- spiel beim metallurgischen Anlagen- bauer SMS group. Das traditionsreiche Unternehmen ist weltweit Synonym für techni- sche Perfektion bei Maschinen- und Anlagen zur Herstellung und Ver- arbeitung von Eisen, Stahl und NE- Metallen. Technologien wie Virtual Reality, Augmented Reality oder digitale Zwillinge sind bei Planung, Konstruktion und Fertigung neuer Stahlwerke längst feste Bestandtei- le des Werkzeugkastens, mit dem SMS aus deutscher Ingenieurskunst feinste Maschinentechnik einschl. Elektrik und Automation schafft, neuerdings auch mit Hilfe innovati- ver Produktionsmethoden wie addi- tiver Fertigung. Neu allerdings ist, dass der Maschinen- und Anlagen- bauer zunehmend digitale Produkte und Dienstleistungen entwickelt. Mit der Gründung der SMS Digital im Mai 2016 hat sich das Technikunterneh- men ein Startup an die Seite gestellt, das den Kunden der Stahl- und NE- Metallindustrie die passenden Instru- mente für die digitale Transformati- on in die Hand gibt. Beispielsweise Software für Industrie 4.0-Lösungen und Apps für die Metallindustrie, die über die eigene Plattform mySMS group zur Verfügung gestellt werden Neue digitale Dienstleistungen und Produkte will die SMS group auf der kommenden Metallurgiemesse METEC 2019 vorstellen. Als Softwareentwickler mit digi- talem Mindset wollen, dürfen (und müssen) die Beschäftigten der SMS Digital in der Rheinmetropole Düs- seldorf eine andere Unternehmens- kultur leben, als die Techniker der mechanischen Werkstatt der SMS im Siegerland, wo geregelte Arbeitszei- ten, Stechuhr und Betriebsrat für den Arbeitsalltag des Industriezeitalters stehen. Die Vorgehensweise der Soft- wareentwickler unterscheidet sich deutlich von der klassischen Arbeits- weise der Ingenieure. Statt dem pe- nibel ausgearbeiteten Pflichtenheft steht nach dem Design-Thinking-An- satz der Kunde mit seinem Problem am Anfang der Entwicklung. In einer nutzerzentrierten Vorgehensweise validiert die Digitaleinheit dialogisch mit dem Kunden die Ideen, bevor ein ausgewählter Prototyp zur Serienrei- fe perfektioniert wird. Ist die Idee in eine marktfähige Lösung übersetzt, kann sie vom Mutterunternehmen ins Sortiment übernommen werden. Ganz aus eigener Kraft kam die Grün- dung der Digitaleinheit indes nicht zustande. Behilflich beim Aufbau der SMS Digital und der erfolgreichen Hochzeit von „Old“ und „New“ Eco- nomy war quasi als Heiratsvermittler die Münchner Unternehmensbera- tung Etventure. VDMA Metallurgy: Digitale Gesamtstrategie des Unternehmens rückt in den Fokus Kathrin Delcuve verantwortet In- novation und Technologieentwick- lung beim Branchenverband VDMA Metallurgy. Spricht die Fachfrau von Industrie 4.0 und IoT, dann meint sie Werkzeuge der digitalen Transforma- tion der (und in der) Industrieproduk- tion. „Für die prozesshaften metall- urgischen Produktionstechnologien war zunächst entscheidend, Big-Da- ta-Methoden für eine bessere Pro- zess- und Qualitätskontrolle nutzen zu können“, erläutert die Expertin. Das klare Ziel sei gewesen, dem Kun- den Energie- und Kosteneinsparun- gen im Produktionsprozess anbieten zu können, und das hat auch immer noch seine Gültigkeit. Beispielhaft erwähnt die VDMA-Expertin die Nut- zung von Data Mining-Verfahren zur besseren Korrelation von Maschinen- daten und Prozessparametern. Damit lassen sich Vorhersagemodelle ent- wickeln, in den Metallbranchen etwa für Temperaturregelungen, präzisere Chargierung oder Vorhersage von Schmelzendpunkten. Während anfangs Projekte zur Pro- zessoptimierung klar im Mittelpunkt der Industrie 4.0-Aktivitäten stan- den, so rückt zunehmend das gesam- te Unternehmen in den Fokus, wie Delcuve präzisiert. „Entscheidend für eine erfolgreiche unternehmerische Nutzung der Industrie 4.0-Poten- ziale sind mittlerweile nicht mehr allein Produkt- und Anwendungsop- timierungen im Produktionsprozess, sondern wie sich einzelne datenba- sierte Innovationen in eine digitale Gesamtstrategie des Unternehmens einfügen“, sagt die VDMA-Expertin. Lösungen zur Steuerung und Opti- mierung von Produktionsprozessen wie z.B. Sensortechnik, Data Ana- lytics, VR oder AR-Technologien er- möglichen sogenannte „Smart Ope- rations“ und damit datenbasierte Services und eigenständige Produkte. Die Durchführung erfolge häufig in- house und angelehnt an Produktent- wicklungsprozesse in Startups. Aber auch in Kooperationen mit Startups, die ihre Geschäftsmodelle auf in- ternetbasierten Anwendungen und Softwareleistungen aufbauten. So hat der VDMA beispielsweise im Sep- tember 2018 im Technologiezentrum Dortmund ausgewählte Startups mit Unternehmen des metallurgischen Maschinen- und Anlagenbaus zusam- mengebracht. „Mittlerweile umfasst die Digita- lisierung alle Ebenen der Produktion und Wertschöpfung - die Produktent- wicklung, Kundenbeziehungen und die Wettbewerbspositionen in der Lieferketten und im B2B -Geschäft“, wie Kathrin Delcuve zusammenfasst. Auf der GIFA, METEC, THERMPRO- CESS, NEWCAST wird der Branchen- verband VDMA Metallurgy unter anderem mit einer Neuauflage der Broschüre „Industrie 4.0 im metal- lurgischen Anlagenbau“ zahlreiche Applikationsbeispiele der Mitglieds- firmen vorstellen. Klöckner: Pionier mit Geburtswehen Als Pionier unter den Digitalisie- rern in den Metallbranchen gilt der Stahlhändler Klöckner & Co. CEO Gisbert Rühl hatte ausgiebig die Erfolgsmodelle der Plattformökono- mie studiert und vor Ort im Silicon Valley Startups inspiziert. Insbeson- dere Amazon wurde unter die Lupe genommen. Zurück in Deutschland baute der Stahlhändler in Berlin die Digitaleinheit kloeckner.i auf. Rühl erinnert sich an die Anfangsschwie- rigkeiten, als es an die Umsetzung der Digitalstrategie ging: „Als eine größere Hürde stellte sich der not- wendige Wandel in unserer Unter- nehmenskultur heraus. Schließlich wollten wir von Anfang an alle un- sere Mitarbeiter mitnehmen und für den Wandel motivieren. Nur so kann digitale Transformation gelingen.“ Rühl baute die Barrieren der internen Kommunikation ab und beendete den hierarchisch organisierten Nach- richtenfluss. Heute kommunizieren Mitarbeiter und Chefs laut Rühl hie- rarchiefrei über das interne soziales Netzwerk Yammer. „Zu den größeren Schwierigkeiten zählte sicher auch eine anfängliche Skepsis gegenüber den von der Digitaleinheit in Berlin entwickelten digitalen Tools. Wir mussten kloeckner.i also besser in den Konzern integrieren, sodass un- sere klassische Unternehmensseite die Einführung der digitalen Tools aktiv unterstützt. Hier haben unsere Austauschprogramme zwischen Mit- arbeitern aus den klassischen Berei- chen und unserer Digitaleinheit volle Wirkung gezeigt und geholfen, ein Digital Mindset in der Kernorganisa- tion zu etablieren.“ Inzwischen hat die Digitalisie- rungsstrategie alle Bereiche des Kon- zerns erreicht, wie Rühl versichert. „Wir digitalisieren nicht nur die Front-Ends zu den Kunden, sondern zunehmend auch die internen Pro- zesse von Klöckner & Co, um noch schneller und effizienter zu werden. Richtig ist aber auch, dass unsere Digitaleinheit kloeckner.i in Berlin die Keimzelle der Digitalisierung des Konzerns ist. Dort arbeiten Digital Natives standortübergreifend und in enger Abstimmung mit Kollegen aus dem Konzern und Kunden an unseren Lösungen für die Digitalisierung der gesamten Liefer- und Leistungskette von Klöckner & Co.“ Die Strategie ging auf. „Aktuell erzielt Klöckner & Co rund ein Viertel des Umsatzes über digitale Kanäle. Das entspricht einem jährlichen Di- gitalumsatz von rund 1,5 Milliarden Euro“, wie Christian Pokropp ergänzt, Managing Director von kloeckner.i. Im Vergleich mit Wettbewerbern aber auch Unternehmen anderer Branchen ist das bereits ein hoher Anteil, mit dem sich Klöckner aber nicht zufrie- dengeben will. „Bis 2022 wollen wir den Anteil weiter auf 60 Prozent stei- gern“, verspricht Pokropp. Aus der Digitalisierung ist ein ei- genes Geschäftsfeld mit digitalen Beratungsdienstleistungen hervor- gegangen. Neue Digitalisierungspro- jekte stehen auch auf der Agenda. „Derzeit bauen wir die Klöckner & Co Onlineshops, die mittlerweile in sechs Ländern live sind, zu Markt- plätzen aus“, sagt Pokropp. Klöckner habe Händler komplementärer Pro- dukte vom Nutzen seiner Plattfor- men überzeugt. Diese Unternehmen handeln Produkte, die das Produkt- portfolio von Klöckner & Co ergän- zen, nun über die Klöckner eigenen Onlineshops mit Marktplatzfunktion. „Aufgrund der guten Fortschritte bei der Digitalisierung von Klöckner & Co und vermehrten Anfragen bietet kloeckner.i zukünftig auch digita- le Beratungsdienstleistungen für externe Unternehmen an. Über die Integration in den proprietären B2B Marktplatz von Klöckner & Co ermög- lichen wir Beratungskunden zudem einen einfachen Einstieg in den E- Commerce“, wie Pokropp ausführt. Digitalisierung bedeutet Dematerialisierung Was Traditionsunternehmen oft- mals falsch machen bzw. falsch ver- stehen: „Digitalisierung bedeutet nicht, die alten Stärken aufzugeben, die das Unternehmen groß gemacht haben“, wie Philipp Depiereux, Gründer und Geschäftsführer der Digitalberatung etventure festhält. In den deutschen Unternehmen sei- en das vor allem Ingenieurskunst, Präzision und Perfektion sowie langjährige Branchenerfahrung und ein gewachsener Kundenstamm. „Das Gütesiegel “Made in Germa- ny” hat auch im digitalen Zeitalter Bestand“, sagt der Digitalexperte. Die Unternehmen müssten sich aber weiterentwickeln und sich auch die Erfolgsrezepte der digitalen Play- er zu eigen machen: Schnelligkeit, Daten-Kompetenz und unbedingte Kunden- bzw. Nutzerzentrierung. „Wem es gelingt, alte mit neuen Stärken zu verbinden, wird auch im digitalen Zeitalter erfolgreich sein“, lautet das Urteil des Experten für digitale Transformation, der als Be- rater für Klöckner und SMS mit der Schwerindustrie bestens vertraut ist. Mit der konsequenten Verfolgung ihrer Digitalstrategie bilden Unter- nehmen wie Klöckner und SMS so etwas wie die digitale Avantgarde in der Metallbranche. Wie zurückhaltend viele Industrieunternehmen dem Thema digitale Transformation noch begegnen, zeigt das Beispiel der Gießereiindustrie. „Die meisten Gie- ßer haben zu sehr die Produktion im Fokus“, sagt Franz-Josef Wöstmann, Abteilungsleiter Gießereitechnologie und Leichtbau am Fraunhoferinsti- tut IFAM in Bremen. Natürlich sei es richtig, mithilfe neuer Technologien die eigenen Prozesse zu stärken. Doch ein zu stark verengter Fokus auf die Verbesserung der Prozessabläufe verstelle den Blick auf das Potenzial und die Chancen der Digitalisierung. Wolle man Industrie 4.0 als Basis für weitere, neue Aktivitäten nutzen, dann müsse man von diesem Grund- gedanken wegkommen. „Industrie 4.0 heißt Digitalisierung“, betont der Gießereiexperte. Und Digitali- sierung bedeute Dematerialisierung. „Mit der Digitalisierung eröffnet sich die Chance, mit den Daten zu den Bauteilen Geld zu verdienen und die Wertschöpfungskette zu verlängern.“ Doch leider sei der Trugschluss der meisten Gießer, dass sie im- mer noch zu sehr in der Materie, in dem Gussteil denken würden. Eine bedenkliche Sicht der Dinge, wie Gießereiexperte Wöstmann findet: „Erfolg wird in den nächsten Jahren nicht mehr über die Kilos erzielt, sondern über die Funktion.“ Autor: Gerd Krause, Mediakonzept/ Düsseldorf Startups I Mit innovativen Geschäftsideen zum Erfolg www.tbwom.com worldwide TheBrightWorldofMetals 2019 25–29JUNE DÜSSELDORF GERMANY TheBright World ofMetals 31,6% Quelle: Deutscher Startup Monitor 2018 Informations- und Kommunikationstechnologie 9,7 % Ernährung und Nahrungs- mittel/Konsumgüter 8,5% Medizin und Gesundheitswesen 5,2% Automobile/ Logistik/Verkehr 4,8% Freizeit und Sport/ (Online-)Gaming Sonstige: Human Resources 3,7 % Bildung 3,6 % Medien und Kreativwirtschaft 3,6 % Beratung und Agentur 3,4 % Banken und Finanzen/Versicherung 3,0 % Energie/Elektrizität 2,8 % Chemie und Pharma/Biologie 2,7 % Textilbranche 2,7 % Bau und Immobilien 2,6 % Industriegüter/Grundstoffe 2,1 % Andere 10,1 % Start? Klar! Starke Geschäftsideen und hohes Wachstumspotential Startup-Branchen in 2018 Etablierte Unternehmen und Startups Gemeinsam stärker: Digitalisierung ist Dematerialisierung

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