25.09.2018
MEDICA 2018 zeigt die Zukunft der Medizin – total digital, aber mit „Human Touch“
Wie kluge Datennutzung das Gesundheitswesen revolutioniert
Künstliche Intelligenz, Big Data oder IoT (Internet of Things) – es gibt wohl kaum eine Branche, in der diese Begriffe und entsprechende Einsatzoptionen nicht weit oben auf der Agenda stehen. Dass die Gesundheitswirtschaft diesbezüglich keine Ausnahme bildet, wird im November einmal mehr die mit mehr als 5.000 Ausstellern aus gut 70 Nationen weltführende Medizinmesse MEDICA in Düsseldorf zeigen (Laufzeit: 12. – 15. November 2018). „Die digitale Transformation ist das Top-Thema und wir beleuchten es mit unseren begleitenden Konferenzen sowie den in die Fachmesse integrierten Foren zielgruppengerecht aus verschiedenen Blickwinkeln“, erklärt Horst Giesen, Global Portfolio Director Health & Medical Technologies der Messe Düsseldorf GmbH und hat dabei zum Beispiel im Blick das MEDICA HEALTH IT FORUM sowie das MEDICA CONNECTED HEALTHCARE FORUM (inklusive der MEDICA App COMPETITION). Allein diese beiden Foren in Halle 15 des Düsseldorfer Messegelände zählten im Vorjahr mehr als 8.000 Besucher.
In den Diskussionen, Präsentationen und Vorträge dieser Foren geht es einerseits um grundlegende Digitalisierungs- und IT-Trends wie beispielsweise Einsatzoptionen Künstlicher Intelligenz, Analyse großer Datenbestände (Big Data) mittels Algorithmen oder Maßnahmen der Cyber Security. Zugleich werden aber auch innovative Produkte und Technologien präsentiert, etwa aus dem Bereich der Wearable Technologies, Telehealth, Robotics und Apps.
Bereits zum Start der MEDICA 2018 stehen Big Data und Künstliche Intelligenz beim MEDICA HEALTH IT FORUM auf dem Programm und zwar am Montag, 12. November, von 11 bis 14 Uhr. Dann geht es beispielsweise um Künstliche Intelligenz für das smarte Krankenhaus – vom Deep Learning bis zur Prozess-Automatisierung, aber auch um erweiterte Patientenakten.
Zu Künstlicher Intelligenz, IoT (Internet of Things) und Big Data kann der interessierte Fachbesucher dann aber auch am Dienstag, 13. November, von 11 bis 13 Uhr beim MEDICA CONNECTED HEALTHCARE FORUM „aus dem Vollen schöpfen“.
So wird IBM Watson Health die Fortschritte in der „Precision Medicine“ am Beispiel der Onkologie darlegen. Mateij Adam, IBM Watson Health, wird erläutern, wie die Künstliche Intelligenz dies unterstützt.
Wenn Mensch und Maschine zu einer Einheit verschmelzen
Auf die Mensch-Maschine-Schnittstelle ist `Cortec Neuro´ spezialisiert. „CorTec Brain Interchange ONE“ verbindet das Nervensystem mit künstlicher Intelligenz. Das komplett implantierbare System zur Ableitung und Stimulation auf 32 Kanälen ermöglicht Interaktion mit dem Nervensystem in Open- und Closed-Loop Anwendungen – und kann so in erster Linie neurologische Erkrankungen und deren Symptome wie Epilepsie und Lähmungserkrankungen bekämpfen. Dr. Fabian Kohler von CorTec wird am Dienstag, 13. November, im Rahmen des MEDICA CONNECTED HEALTHCARE FORUM das implantierbare Gehirn-Computer-Interface zur Erforschung einer Closed-Loop-Therapie erläutern.
Die Neurostimulation und Robotik selbst stehen dann am Mittwoch, 14. November,11 bis 12:30 Uhr auf der Forum-Agenda. Hier wird Prof. Arndt Schilling von der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie der Universitätsmedizin Göttingen referieren. Der Übergang zur Robotik ist fließend. Er nennt die sogenannten „gedankengesteuerten Prothesen“ als typisches Beispiel für intelligente Prothesen. Sie können die Nervensignale aufnehmen, um daraus Aktionen wie zum Beispiel „Prothesenhand öffnen“ abzuleiten und auszuführen. Die größte Herausforderung dabei sei es, den Willen des Patienten zuverlässig richtig zu deuten. Schilling verdeutlicht: „Die Gedanken sind nach wie vor frei und daher sehr schwer in Algorithmen einzufangen. Zudem ist es für den Entwickler, der in der Regel ja nicht selbst Prothesenträger ist, manchmal schwierig, die komplex veränderte Alltagssituation des Patienten zu verstehen.“ Um eine intelligente Steuerung an die Bedürfnisse des Patienten anpassen zu können, sei daher eine sehr enge Zusammenarbeit in einem interprofessionellen Team von Patienten, Ärzten und Ingenieuren notwendig.
Die Prothese lernt den Menschen kennen – und nicht umgekehrt
„Machine Learning“ könne bei der Entwicklung solcher Prothesen und Orthesen helfen. So musste der Patient bisher bei der konventionellen Steuerung lange trainieren, um zu lernen, die Bewegungen so auszuführen, dass die Prothese ihn versteht, erläutert Schilling. Er führt aus: „Durch Machine Learning kann der Patient die Bewegung jetzt so ausführen, wie sie ihm am sinnvollsten erscheint und die Prothese trainiert es, den Patienten zu verstehen.“ Über das Machine Learning werde also quasi das Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen Patient und Prothese umgekehrt. „Das führt beim Patienten zum angenehmen Gefühl, dass jetzt die Prothese ihm dient und nicht umgekehrt“, so Schilling.
Durch Machine Learning in Kombination mit erweiterter Sensorik könne der Prothese zudem ein einfaches Verständnis der Umgebung gegeben werden. Schilling verdeutlicht: „In unserem Projekt InoPro arbeiten wir zum Beispiel an Prothesen die erkennen können, ob der Patient ein Glas oder einen Stift greifen will und die Handposition und Griff entsprechend vorbereitet und den Patienten dadurch entlastet.“
Mittlerweile gebe es bereits erste Prothesen, mit einem noch relativ begrenzten Einsatz von Intelligenz, um etwa die Mechanik an die jeweilige Gangphase anzupassen oder die Geschwindigkeit des Greifens zu regulieren. „Erste Start-ups nehmen sich aber bereits dieser Thematik an und ich erwarte da ähnliche rasche Fortschritte wie bei der Spracherkennung in den letzten Jahren“, meint Schilling.
Die grundsätzliche technische Schwierigkeit würde sich daraus ergeben, dass der menschliche angeborene Bewegungsapparat so phantastisch ausgereift ist: „Der Versuch, etwas zu entwickeln, das einer Hand oder einem Fuß auch nur entfernt nahekommt ist automatisch Hightech.“ Eine intelligente Prothese müsse nicht nur schlau, sondern auch noch robust, leicht und wasserdicht sein, dürfe dabei aber nur wenig Energie verbrauchen, damit sie nicht ständig aufgeladen werden muss. Die Sensorik müsse zuverlässig auch bei Bewegung und unterschiedlichen Zuständen des Trägers funktionieren, ob er gerade schwitzt oder friert. Das erfordert hinsichtlich der verwendeten Materialien Biokompatibilität im Zusammenspiel mit der Körperoberfläche.
Ethischer Grenzfall: Hat jeder ein Recht auf Hightech?
Eine ethische Grenze sieht Schilling aktuell vor allem in der Diskussion, wem Zugang zu derartigen modernen Hilfsmitteln ermöglicht oder verweigert werden sollte, da Hightech natürlich erstmal sehr teuer sei: „Hat jeder Bürger im Bedarfsfall ein Recht auf Versorgung mit den modernsten Prothesen? Welcher Standard kann von der Solidargemeinschaft übernommen werden? Wieviel wollen wir in die Weiterentwicklung investieren? Wie können wir sicherstellen, dass auch Menschen außerhalb unserer Solidargemeinschaft von den Entwicklungen profitieren können?“ Schilling glaubt, die Antworten auf diese ethisch-gesellschaftspolitischen Fragen würden wesentlich die künftige Entwicklung in diesem Bereich bestimmen.
Bereits Realität sind s. g. Exoskelette, die in den Bereich der Wearables fallen. So ist das Roboter-Exoskelett „EksoGT“ das erste kommerzielle Roboter-Exoskelett, das für die Anwendung bei Halbseitenlähmung aufgrund eines Schlaganfalls und bei Wirbelsäulenverletzungen auf Höhe von T4 bis L5 sowie C7 bis T3 von der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA zugelassen wurde.
Dass zudem Augmented Reality in den OP einzieht wird ebenfalls am Mittwoch, 14. November, vom Fraunhofer IGD beim MEDICA CONNECTED HEALTHCARE FORUM anschaulich vermittelt. Spannenden Produktneuheiten sind im Übrigen auch die täglichen `MEDICA DISRUPT´-Sessions des Forums gewidmet. Hier stellen mehr als fünfzig Start-ups täglich von 13 bis 14 medizinische Lösungen vor. Am Mittwoch,14. November, startet MEDICA DISRUPT bereits um 12 Uhr. Denn von 13 bis 17 Uhr gibt es ein weiteres Programm-Highlight: Die Finalisten der diesjährigen MEDICA App COMPETITION präsentieren auf der Bühne ihre Lösungen und der Gewinner der „weltbesten Health App“ wird gekürt.
Bild & Text: medica.de